Projektteam: Peter Rauscher, Andrea Barbara Serles, Beate Pamperl
Im Gegensatz zur Blütezeit des oberdeutschen Handelskapitalismus im 16. Jahrhundert und dem Interesse der Wirtschaftsgeschichte am Aufstieg des Atlantikhandels und der Intensivierung globaler Handelsbeziehungen in der Frühen Neuzeit findet der kontinentale Binnenhandel dieser Epoche nur geringe Aufmerksamkeit in der historischen Forschung. Und dies, obwohl die Mehrzahl der Handelsaktivitäten in Europa im regionalen Rahmen ablief und größtenteils von weniger prominenten Firmen als den extrem gut erforschten, aber auch wenig repräsentativen Fuggern oder Welsern getragen wurde. Hier setzt das Projekt „Donauhandel“ ein, indem es versucht, die empirische Basis der mitteleuropäischen Wirtschaftsgeschichte im 17. und 18. Jahrhundert zu erweitern. Ausgegangen wird von der Prämisse, dass „uns das Bild des Handels auf einem großen Strome zugleich auch eine Übersicht über den Handel weiter Gebiete zu geben vermag“ (Theodor Mayer).
Die Waag- und Niederlagsbücher der Stadt Krems (Projektlaufzeit 2010–2013)
Ein erstes, am Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit angesiedeltes Projekt widmete sich den Kremser Waag- und Niederlagsbüchern, von welchen 28 Jahrgänge für den Zeitraum von 1621 bis 1737 überliefert sind. Die Stadt Krems bildete auf der West-Ost-Handelsroute der Donau das wichtigste Emporium zwischen Linz und Wien. Gleichzeitig war sie über Land mit Böhmen, Mähren und Schlesien sowie dem Königreich Polen verbunden. Die Waag- und Niederlagsbücher erlauben es, Handelsbeziehungen innerhalb eines großen Raumes, der von Savoyen und der Schweiz bis Ungarn, von Polen bis in den Alpenraum reichte, zu rekonstruieren. Erfasst wurden sowohl Art und Menge der Waren, als auch die am Handel beteiligten Personen, Gesellschaften und Institutionen. Mit diesen Daten, die ab Frühjahr 2013 online abfragbar sind, ist es möglich, ein wesentlich genaueres Bild kaufmännischer Tätigkeit in den österreichischen Donauländern und deren Verflechtung mit angrenzenden Regionen zu zeichnen, als dies bisher der Fall war.
Erschließung und Analyse der Aschacher Mautregister: Die Zeit der österreichischen Protektionspolitik unter Kaiser Karl VI. (1718–1737) (Projektlaufzeit 2013–2016)
Wilhelm von Schröder, einer der frühen österreichischen Merkantilisten, schlug in seinem 1686 erschienenen Hauptwerk „Fürstliche Schatz= und Rent=Kammer / Nebst Seinem nothwendigen Unterricht vom Goldmachen“ folgende Methode zur Analyse von Handelskrisen vor: „Dann gesetzt / es wäre durchgehends ein general klagen im lande wegen abgang und abnehmen des handels / niemand wüste aber / wo es stecke / oder wo der fehler wäre / ob gleich den schaden iederman fühlete / so schlaget das mauth=register auff / wie de præsenti die ab= und zuführen aller dinge noch stehen / und welche von denen ab= oder zugenommen haben [...].“
Tatsächlich bilden Rechnungsbücher über Mauteinnahmen wie die bekannten Sundzollregister erstrangige Quellen zur Erforschung des Handels in der Frühen Neuzeit. Für die österreichischen Länder nehmen die für den Zeitraum von 1627 bis 1775 in 194 Bänden überlieferten Aschacher Mautregister eine überragende Stellung ein. Sie konnten von Wirtschaftshistorikern bisher allerdings wegen ihres immensen Umfangs und fehlender Indices kaum systematisch ausgewertet werden. Wie die Waag- und Niederlagsbücher enthalten sie Informationen zu den gehandelten Waren und ihren Mengen sowie den beteiligten Personen (Kaufleute, Schiffmeister, Spediteure) und deren Herkunft. Mit den aus ihnen gewonnen Informationen können Wirtschaftsbeziehungen, Konsumverhalten und Konjunkturen des süddeutsch-österreichischen Raums und seine Außenverflechtung detailliert erforscht werden.
In einer ersten Phase widmet sich das in Kooperation mit dem Oberösterreichischen Landesarchiv durchgeführte Projekt der Regierungszeit Kaiser Karls VI., während der bedeutende Weichenstellungen zur Schaffung eines einheitlichen österreichisch-böhmischen Wirtschaftsraumes vollzogen wurden. Verfolgt wird erstens das Ziel, die Quellen vollständig zu digitalisieren und zweitens mit Hilfe einer online verfügbaren Datenbank zu erschließen und damit der geschichtswissenschaftlichen Forschung zugänglich zu machen. In begleitenden Publikationen sollen die Daten ausgewertet werden. Besonders die Fragen nach den hauptsächlich gehandelten Waren, den daran beteiligten Personen(gruppen) und nach den Folgen staatlicher Zollpolitik für überregionale Wirtschaftsbeziehungen stehen dabei im Vordergrund. Längerfristiges Ziel ist die vollständige Erschließung aller Bände dieser wohl wichtigsten Quelle für die Handelsgeschichte der österreichischen Donauländer.
Ein Handelsplatz und seine Kaufleute. Die personengeschichtliche Erschließung der Kremser Märkte im 17. und 18. Jahrhundert (Projektlaufzeit 2017–2018)
Seit Beginn des Projekts zur Erschließung der Kremser Waag- und Niederlagsbücher im Jahr 2010 bzw. seinem vorläufigen Abschluss 2013 haben sich die Standards für die Aufbereitung von Quellen für das Internet maßgeblich weiterentwickelt. Um die Projektdatenbank weiterhin auf dem neusten Stand der digitalen Editionstechnik zu halten, wurden in einem Kurzprojekt einerseits sämtliche Datensätze mit den entsprechenden Digitalisaten aus den Rechnungsbüchern verbunden (in Kooperation mit dem Niederösterreichischen Landesarchiv), andererseits für Personen und Orte Normdatensätze generiert.
The Toll Registers of Aschach (1706-1740): Database and Analysis / Die Mautregister von Aschach (1706-1740): Datenbank und Analyse (Projektlaufzeit 2017–2021)
Langfristiges Ziel des Projekts „Donauhandel“ ist die vollständige Erschließung und Auswertung der Aschacher Mautprotokolle als der quantitativ umfangreichsten und qualitativ aussagekräftigsten Quelle zur Erforschung der Geschichte des Handels und Transports Österreichs und seiner westlichen Nachbarländer im 17. und 18. Jahrhundert. Im Fokus stehen Art und Mengen der verschifften Güter sowie die am Warentransport auf der Donau beteiligten Personen – insbesondere Schiffmeister und Kaufleute. Auf Basis der Aschacher Mautprotokolle lässt sich der Warentransport aus und in die österreichischen Länder und damit ein Wirtschaftsraum rekonstruieren, der von Schwaben und Tirol im Westen bis Linz und Wien als den entscheidenden Handels- bzw. Konsumzentren im Osten reichte. Integrale Bestandteile dieses Raums waren die oberdeutschen Gewerbe- und Handelszentren Ulm, Augsburg und Nürnberg, wichtige regionale Güterumschlagplätze bildeten Laufen im Erzstift Salzburg und Passau, während Hall in Tirol und Regensburg als Transportdrehscheiben zum Mittelmeerraum bzw. zum Atlantik- und Osteuropahandel fungierten. Die Donau war aber auch ein wichtiger Nachschubweg für die Versorgung der in Ungarn stationierten kaiserlichen Armee sowie Transitroute deutscher Migranten nach Ungarn und ins Banat. In der zweiten Projektphase wird der zeitliche Rahmen sowohl auf die Regierungszeit Josephs I. als auch auf die letzten Regierungsjahre Karls VI. ausgedehnt.
Prosopography of the Viennese Merchants (1725-1728) / Prosopographie der Wiener Kaufmannschaft im Zeitalter des Merkantilismus (1725-1758) (Projektlaufzeit 2021-2024)
Die Stadt Wien war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die größte Stadt Mitteleuropas und Sitz des kaiserlichen Hofes. Die Versorgung dieser Metropole mit Fernhandelsgütern wurde von der Wiener Kaufmannschaft organisiert. Abgesehen vom Warenhandel dienten die Kaufleute auch als Kreditgeber des Kaisers. Im Gegensatz ihrer wirtschaftlichen Bedeutung im Güterverkehr und in der Finanzdienstleistung ist bisher weniger über diese Gruppe der Kaufleute bekannt. Diese Forschungslücke führte zu groben Fehlinterpretationen wie etwa zur Anname, dass im barocken Wien kein bedeutender Handelsstand vorhanden gewesen wäre.
Das Projekt wird in Kooperation zwischen dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung (Universität Wien) und dem Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage (Österreichische Akademie der Wissenschaften) durchgeführt. Im Gegensatz zu älteren Forschungen zum Wiener Handel und seiner Träger, die sich vor alem einzelnen ethnischen oder religiösen Gruppen widmeten, wird erstmals die gesamte Wieder Großhändlerschaft untersucht.
Link zur Projekthomepage: http://www.univie.ac.at/donauhandel/