Andreas Zajic
"Zu ewiger gedächtnis aufgericht". Grabdenkmäler als Quelle für Memoria und Repräsentation von Adel und Bürgertum im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit.
Das Beispiel Niederösterreichs
(Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 45)
2004, 404 S.
24 x 17 cm, Br.
Preis: € 49.80
978-3-486-64854-6 (D), 978-3-7029-0480-7 (A)
Grabdenkmäler des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit sind in den letzten Jahren vermehrt aus unterschiedlichen Blickrichtungen Gegenstand kulturwissenschaftlicher Forschung geworden. In der kunsthistorischen Literatur hat sich vor allem eine Synopse von liturgiewissenschaftlichen Erkenntnissen und Formalanalyse als produktiv erwiesen, während die historischen Wissenschaften sich stärker dem Gebiet der Memoria und der Repräsentation von Gruppen durch Symbole, zu denen auch Grabdenkmäler als Bedeutungsträger gerechnet werden können, zugewendet haben. Grabdenkmäler sind gleichermaßen realer Ort und Anknüpfungspunkt des liturgischen wie des individuellen beziehungsweise familialen Gedächtnisses: als Grabmäler weisen sie unmittelbar auf den Bestattungsort der Verstorbenen hin, als Totengedächtnismale verweisen sie mittelbar auf diese und gewährleisten die Erinnerung an die Toten, nehmen einen realen ebenso wie einen sozial-memorativen Raum ein. Parallel zum Grabmal erhalten verschiedene andere schriftliche Quellen das Gedächtnis der Verstorbenen.
Großes Augenmerk wurde der Dauerhaftigkeit des Grabes und der sich daran knüpfenden Memorialleistungen geschenkt. Stiftungen des Spätmittelalters verknüpften etwa Almosenausteilungen mit dem Ort des Grabmales bzw. dem zugehörigen Altar und verlangten den regelmäßigen Grabbesuch, d.h. in der Regel das Grabbegängnis und die Aufrichtung einer Bahre mit Leichentuch und brennenden Steckkerzen unmittelbar auf der Grabplatte am Jahrtag, wobei für den Stifter und dessen Familie öffentlich gebetet werden sollte. Weitergehende Strategien sorgten etwa im bürgerlichen Bereich für den unmittelbaren Einfluß auf die Durchführung der Stiftungsverbindlichkeiten durch Errichtung eines eigenen Benefiziums, dessen Patronat im Familienbesitz verblieb. Darüberhinaus konnte der Charakter des Erbbegräbnisses als Familienstiftung verstärkt werden, wenn auf die entsprechende Benefiziatenstelle ein Verwandter der Stifterfamilie präsentiert werden konnte, was in verschiedenen Testamenten explizit vorgesehen war. Adeligen stand die Ausübung des Patronates über die Kirchen auf dem Land, in denen sich die Familienbegräbnisse befanden, zur Disposition. Im Spätmittelalter wurden aus diesem Grund für verschiedene Filialkirchen von den lokalen adeligen Grundherren die Pfarr- und damit auch die Begräbnisrechte erworben. Häufig wurden im 16. Jahrhundert bestehende Vogteirechte zu Patronatsrechten ausgebaut, in der Absicht, eine bessere Handhabe für die geplanten Umbauten zu Erbbegräbnissen zu haben. Ort der neuanzulegenden adeligen Familiengrablege wurde meist die dem Herrschaftssitz am nächsten gelegene Pfarr- oder Filialkirche, während Burg- und Schloßkapellen vergleichsweise selten adaptiert wurden. Voraussetzung war dementsprechend die Konzentration lebenswichtiger Interessen an einem Adelssitz und die Aussicht auf längerandauernden Besitz der entsprechenden Herrschaft. Vielfach erfolgte deshalb signifikanterweise die Einrichtung einer neuen Grablege (im 16. Jahrhundert zunehmend in Form einer Gruftanlage) nach der Umwandlung von ehemaligen Pfandherrschaften in landesfürstliche Lehen bzw. freies Eigen. Durch das Bestreben, existierende Erbgrablegen zu exklusiven, also andere Grabwerber tendenziell ausschließenden, dagegen familienintern möglichst verbindlichen und die Gesamtheit aller Verstorbenen aufnehmenden Begräbnisstätten zu machen, wurden einerseits Überführungen anderswo Verstorbener bzw. Bestatteter notwendig, ebenso wie das Abweichen von älteren Erbgrablegen, etwa nach der Herausbildung neuer Herrschaftsmittelpunkte, durchaus der Begründung bedurfte. Probleme in der Erhaltung der symbolischen Valenz mußte auch die Multiplikation der Begräbnisorte durch Aufsplitterung der Familien in mehrere Zweige mit sich bringen.
Mit der neuen Bedeutung Wiens als kaiserliche Residenzstadt seit dem zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts verlagerten sich zunehmend die Interessensschwerpunkte der erfolgreich an den Hof gezogenen Hochadelsfamilien von den Grundherrschaften auf dem Land nach Wien, was auch eine weitgehende Neuorientierung des symbolischen Instrumentariums der Erbbegräbnisse mit sich brachte. Der Erwerb von Grüften und Grabkapellen in den Wiener Kirchen lief so in gewissem Sinn parallel zur Verdichtung des adeligen Hausbesitzes in Wien. Die politisch zunehmend unbedeutenden Familien des Niederadels und einige Hochadelsfamilien hingegen belegten ihre älteren Grablegen im Bereich der Herrschaften weiter.
Schon früh kam der Lage des Grabes besondere Bedeutung zu. Als im christlichen Bereich seit der Spätantike trotz wiederholter Verbote und Beschränkungen besonders anziehungskräftig kann das Begräbnis im Kirchenraum und in möglichst großer Nähe zum Altar, also den Reliquiengräbern der Heiligen, gelten. Dementsprechend galt seit dem Spätmittelalter der Chorraum als der am meisten bevorzugte Beisetzungsort, der in der Praxis - neben den lokalen Klerikern - nur Angehörigen der Stifterfamilie bzw. den Inhabern des Kirchenpatronates zugänglich war. Weiters wurden alle Grabdenkmäler an gut sichtbaren Orten der Kirche als besonders prestigeträchtig gewertet, ebenso wie die Sichtbarkeit und Augenfälligkeit der Grabmäler auf dem Friedhof - auch hier waren die Stellen an der Kirchenaußenmauer am höchsten bewertet - Kriterium sozialer und symbolischer Differenzierung war. Im städtischen Bereich konnte sich auch durch das Vorhandensein mehrerer Friedhöfe eine topographische als Reproduktion einer sozialen Ordnung entwickeln. In diesem Zusammenhang brachte die Einrichtung konfessionell getrennter Friedhöfe mit der Anlage protestantischer Begräbnisstätten vor den Stadttoren weitere Diversifizierungen. Neben der belegten Praxis gemischt-konfessioneller Bestattungen, die Rücksicht auf ältere Familienbegräbnisrechte nahmen, konnte so das Kirchenpatronat durch die Verweigerung der gewünschten Beisetzungsorte auch zu einem konfessionellen Steuermittel werden.
Hinsichtlich der Gestaltung der Grabdenkmäler unterschiedlicher sozialer Gruppen läßt sich nicht zuletzt auch anhand der entsprechenden letztwilligen Verfügungen feststellen, daß diese weniger der Abgrenzung gegen andere Gruppen dienen sollten, sondern vielmehr der Integration in das bildnerisch-symbolische Dekorum der Gruppe, der man sich zugehörig fühlte oder glaubte. Dementsprechend beschreiben Testamente vergleichsweise sehr selten ausführlich die Formen oder das Bildprogramm der posthum zu errichtenden Grabmäler, sondern fordern vielmehr die Standesgemäßheit des Denkmales ein.
Bei der Untersuchung der Bildprogramme von Epitaphien des "konfessionellen Zeitalters" läßt sich eine in der Literatur oft angedeutete klare Differenz zwischen den Vorstellungen katholischer und protestantischer Auftraggeber nur selten nachweisen. Vielmehr scheint ein konfessionell gemeinsamer Fundus an populären Bildinhalten existiert zu haben, ebenso wie ein reicher Schatz an Bibelzitaten vielfach eher einem allgemeinen Interesse an Spruchgut und Sentenziellem als echter Glaubenüberzeugung entsprach.
Das Formular der Grabinschriften selbst nennt anfangs neben dem Namen des Verstorbenen nur die Todesnachricht (Sterbevermerk) mit Todestag, was die Abhaltung des Jahrtages zum richtigen Termin gewährleisten sollte. Im Spätmittelalter tritt neben die nun mit Epitheta und Titeln versehene Namensangabe und das vollständige Todesdatum mit Jahreszahl ein beliebig erweiterbarer Segenswunsch, oft auch eine Grabbezeugung. Das seit dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts allmählich häufiger verwendete deutsche Formular entspricht dabei dem lateinischen. Die Verwendung von lateinischer oder deutscher Inschriftensprache weist keine Unterschiede zwischen Adel und Nicht-Adel auf, hingegen ist naturgemäß eine starke Dominanz des Lateinischen bei Priestergrabmälern zu konstatieren. In der fein ausdifferenzierten Titulatur äußern sich sehr stark soziale Gliederungen. Ausführlichere Grabinschriften des 16. und 17. Jahrhunderts betonen neben etwaigen adeligen Ämterlaufbahnen und Leistungen um die Familie - oft in Anlehnung an seit der Spätantike formulierte Tugendkataloge - die Erfüllung sozialer Vorgaben, vor allem im Erwerb ehelicher Nachkommen.
Grabinschriften kam seit dem 15. Jahrhundert auch eine besondere Rolle bei der Konstruktion adeliger und bürgerlicher Identität zu. Als notizartige Aufzeichnungen sowie in Abschriften und teilweise präzisen Nachzeichnungen in Familienbüchern bzw. Schreibkalendern finden sich Grabmäler, deren Standorte und Inschriften als Anknüpfungspunkte von Familien- und Geschlechterbewußtsein dokumentiert sowie als genealogische Quellen - mitunter auch in Hinblick auf verschiedene Rechtstitel - verwertet. Im Sinne der Legitimierung von adeligen Herrschaftsansprüchen durch eine der Grundkategorien des Adels, nämlich das möglichst hohe Alter eines Geschlechtes, waren Grabinschriften, die vielfach die ältesten belegbaren und erhaltenen schriftlichen Quellen der Familiengeschichte darstellten, sogar besonders wirkmächtig. Nicht selten wurden etwa Grabinschriften als Quellen der im ausgehenden 16. Jahrhundert anläßlich der Aufnahme in die Landstände einzulegenden adeligen Stammbäume herangezogen.
Die anhand niederösterreichischer Beispiele gemachten Beobachtungen sind Ergebnis einer regionalen Perspektive, betreffen aber Phänomene von weiterreichender Gültigkeit. Die Kontrastierung mit anderen Ausschnitten einer gesamtmitteleuropäischen Sepulkralkultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit würde manches als lokales Spezifikum herausstellen, während vieles in den meisten Teiles des alten Reiches Parallelen aufweisen dürfte. Grabdenkmäler als für Individuen konzipierte Denkmäler entziehen sich bis zu einem gewissen Grad ohnehin einer quantitativ-systematischen Auswertung in zu großen Räumen, sodaß eine Weiterarbeit in ähnlichen Längsschnitten an anderen Beständen durchaus sinnvoll erscheint. Grundlage einer letztlich zusammenschauenden Darstellung müssen Einzeluntersuchungen wie die vorliegende sein, wobei die Berücksichtigung der durchaus unscheinbaren zahlreichen Grabmäler auch des Bürgertums und des Niederadels auf dem Land unverzichtbar ist. Als Vorarbeit ist freilich eine möglichst engmaschige Erfassung des Bestandes zu leisten, die eines der Hauptprobleme der inschriftlichen Quellenarbeit ausmacht. Daß die vorliegende Arbeit nicht mehr als eine Anregung zu weiteren Forschungen und eine erste Darstellung zweifellos noch zu relativierender Ergebnisse sein kann, soll nicht verschwiegen werden. Daß die Vielzahl möglicher Fragestellungen und methodischer Zugänge zum Untersuchungsgegenstand jedenfalls lohnt, dürfte die Arbeit deutlich vermitteln.